Selbstverwaltete Betriebe Libertäre Tage 1993 Einführung

AG Selbstverwaltete Betriebe

Ich habe da so meine Schwierigkeiten über das bunte Spektrum der selbstverwalteten Betriebe einen Text zu verfassen, in dem sich alle wiederfinden. Mir scheint gerade umgekehrt, daß die Vielfalt ausufert von mönchisch-ökologisch-selbstverwirklichend über neugierig-testend bis zu juppihaft-erfolgsorientiert, sich vieles alternativ bis anarchistisch selbstverwaltet. Meine Rolle sehe ich dabei mehr in der Vernetzung und Ansprache verschiedener Gruppen, die sich dann in Frankfurt auf den Libertären Tagen einbringen. Meinen eigenen Beitrag zu praktischer Ökonomie und Vernetzung hatte ich eigentlich mehr als Sammeln von Projekten und Entwürfen zur praktischen Verwirklichung der Anarchie gesehen und nicht als Vorbereitung einer theoretischen Arbeitsgruppe. Dazu werde ich an der Vorbereitung von Ständen auf einem Jahrmarkt der Möglichkeiten, einer Vorstellungsrunde der teilnehmenden Projekte und dann mehr einer Gesprächsrunde mit eingehenderen Vorstellungen der beteiligten Projekte und Planungsgruppen mitwirken. Zu meinen eigenen Vorstellungen: Ein Weg zur einer Anarchie kann grundsätzlich nur über die Lernfähigkeit des Menschen führen. Eine Revolte von der viele träumen: so mal eben den Staat zerschlagen, und dann kommt die freie Gesellschaft schon von alleine. Eine solche Revolution kommt nie von der Gewalt wieder runter. Die Brutalsten und Machtgeilsten setzen sich am ehesten durch und geben die Herrschaft nicht wieder ab, auch wenn sie vorher noch so viel von der Beendigung der Diktatur nach einer Festigungsphase reden. Mit Anarchie zu leben, können wir nur lernen und verwirklichen, wenn wir „befreite Bereiche“ schaffen, in denen wir begrenzt erleben können, wie es mit den Entwürfen einer freien Gesellschaft in dem Projekt-Alltag tatsächlich zugehen könnte. Wir sollten dabei milde miteinander umgehen und jedem das Tempo seine persönlichen Entwicklung überlassen und nicht mit moralinsaueren aufgepfropften Forderungen das Unmögliche verlangen. Wir leben in der falschen Gesellschaft und können da nicht einfach das richtige tun. Solange ein Staat besteht, wird es nie eine heile Projektwelt geben, auch wenn sich einzelne Gruppen noch so weit auf die Almwiesen oder ins Heidekraut verziehen. Darum müssen wir mit den Brüchen leben, die zwischen Projektinseln, umgebender kapitalistischer Gesellschaft und auch innerhalb der Projekte bestehen. Und die werden von den Möglichkeiten bestimmt, die wir uns innerhalb dies Systems mit Phantasie und guter Planung und Flexibilität schaffen und erhalten. Die theoretischen Entwürfe für eine andere Gesellschaft können keine Patentrezepte nach Art einer Ideologie sein, die die Welt vollkommen erklärt, die nur noch genau umgesetzt werden brauchen. Mit der praktischen Entwicklung der Projekte verändern sich die Formen des Zusammenlebens und die Menschen selber. Sie lernen mit den neuen Bedingungen umzugehen. Und jetzt von ihnen zu verlangen, genau weiterzumachen, was Theoretiker vorgedacht haben, die die Erkenntnisse aus der Praxis noch nicht kannten, die am Umsetzungsprozeß nicht teilnehmen, bedeutet ein großes Maß an Unfreiheit. Darum kann ein Konzept zwar weite Ziele setzen, insbesondere grundsätzliche Forderungen, die zur Erreichung einer freien, sozialen, ökologischen Gesellschaft dezentraler Strukturen und Abbau jeder Art von Herrschaft, Patriarchat, Sexismus und Rassismus, Abschaffung von Gefängnissen, Staatsschulen, Zwangspsychiatrie führen. Wie weit aber in der Praxis die Erkenntnisse immer neu umgesetzt werden müssen, können allein die entscheiden, die das Werk in immer neuen Fortsetzungen erleben. Auf dem Weg muß immer neu entschieden werden, wie weit die Kraft reicht, über Veränderungen im Projektbereich auch andere Forderungen zu verwirklichen, wie weit z.B. das Engagement bei den Kämpfen gegen neofaschistische Umtriebe reichen kann, wie weit das auch in anderen Bereichen gehen kann, wenn es Selbstaufgabe bedeutet, die Kraft für unsere eigenen Möglichkeiten nicht mehr reicht. Die anarchistische Fabrik In einer kapitalistischen Fabrik arbeiten Menschen. Sie sollen mit Maschinenhilfe in möglichst kurzer Zeit aus möglichst wenig Material möglichst viel Waren herstellen, die sich gut zu einem hohen Preis verkaufen lassen, so daß das Geld, das in die Fabrik gesteckt wurde, in möglichst kurzer Zeit den möglichst hohen Gewinn bringt. Die Kapitalisten interessiert dabei weder die Gesundheit, die die Menschen bei der Arbeit ruinieren, noch die Umgebung, die sie mit dem Gift, Lärm und Verkehr unbewohnbar machen, noch die Zerstörungen, die beim Abbau der Rohstoffe erfolgen, noch die Folgen, die durch die Produkte angerichtet werden. Waffen, Gifte, Drogen, Verpackungsmüll, Autos, Plastikspielzeug und andere schädliche Produkte verlassen die Fabrik. Kriege werden um billige Rohstoffe geführt, Menschen in kurzer Zeit in den Bergwerken ruiniert, Landschaften mit Monokulturen  überzogen, vergiftet, verstrahlt, abgenutzt, betoniert oder ausgebeutet aufgegeben. Die häufig nutzlosen bis schädlichen Produkte werden trotzdem durch Werbefeldzüge entwurzelten Menschen angedreht, die ihre wirklichen Bedürfnisse nicht mehr kennen, die Folgen ihres Handelns nicht überblicken, sich nicht mehr dafür verantwortlich fühlen. Eine anarchistische Fabrik dagegen dient sinnvollerweise dazu, auf möglichst angenehme Weise in möglichst kurzer Zeit auf ökologisch unschädlichstem Wege sinnvolle, nützliche Produkte herzustellen. Sie müssen langlebig sein, leicht zu reparieren, auszubauen, wiederzuverwerten, unschädlich zu beseitigen. Vertrieben werden sie in vernetzen Strukturen, was immer du und ich uns darunter vorstellen. Geld abschaffen ist das Vordergründige, Menschen und Produktionen zu vernetzen ist der Weg, auf dem das weitgehend selbst passiert. Anarchistische Fabriken entstehen immer da und dann, wenn sich notwendige Produkte nicht kleinteilig herstellen lassen ohne vernünftigen Zeitaufwand, Materialumschlag, Maschineneinsatz und Organisation, oder weil die Herstellung sonst zu laut, zu stressig, zu gefährlich, zu giftig ist. Es gibt keine erhaltenswerten Arbeitsplätze, immer nur notwendige. Es gibt kein Recht auf Arbeit; es gibt ein Recht auf ein freies, gesundes, selbstbestimmtes Leben, auf die Entfaltung der Persönlichkeit. Lebensstandard bezeichnet alles, was ich im allgemeinen Konkurrenzkampf für meine persönliche Nutzung zusammenraffe; Lebensqualität, was ich genießen kann, egal ob es mir allein oder der Gemeinschaft gehört. Ansprüche und Forderungen, die noch aus der bürgerlich-idealistisch-erfolgsorientierten Erziehung stammen oder ihrer Umkehrung in der Pubertät, die natürlich zu wahnwitzigen Koppelungen führen können, sind mit äußerster Vorsicht zu genießen. Meist sind von vornherein die Grundlagen falsch, auf denen sie basieren. Fabrikarbeit fällt da total unter ein Tabu, wobei die gleichen Menschen aus Bequemlichkeit gerade auch Fabrikprodukte für Musik, Kommunikation und Fortbewegung nutzen. Aus meiner Sicht besteht das Projekt A in Neustadt (WESPE e. V., ein Zusammenschluß selbstverwalteter Betriebe) in der Tradition der alternativen Handwerks-, Verkaufs- und Dienstleistungsbetriebe, die schon seit etwa 15 Jahren Erfahrungen machen und durch Netzwerk im größeren Rahmen und auch durch Großraumkommuneprojekte und regionale Vernetzungen Gemeinschaftsideen verwirklichten. Das wesentlich neue an Neustadt ist die Verbindung mit Projekt A und damit die Entwicklung in einer libertär/anarchistische Vernetzung: Die Utopie einer Stadt, die sich mit jedem Entwicklungsschritt, jedem neuen Produkt, jedem Menschen, der mitmacht, weiter von der kapitalistischen, ausgrenzenden, manipulierenden Konkurrenzgesellschaft weg zu einer solidarischen, freien, sozialen, ökologischen Gesellschaft hinentwickelt. In Kommunen, die gemeinsam leben und arbeiten, unterscheiden sich die Anforderungen der einzelnen Betriebe meist nicht wesentlich. Sie sind mehr auf die angestrebte Lebensform als auf Effektivität angelegt. Die unterschiedliche Bewertung von Arbeitsstunden tritt als Problem nur am Rande auf. Die Mitarbeit in verschiedenen Bereichen, die sich dabei ergebenden Gespräche und die allgemeine Kommunikation ergeben zusammen einen runden Tag. Das ist in der anarchistischen Fabrik völlig anders. Zwar wird sie sich von den heutigen kapitalistischen Fabriken radikal unterscheiden, z. B. durch die Aufhebung der Trennung  von Gewerbe- und Wohngebieten, durch die Nutzung der Materialien und der technischen Einrichtungen auch außerhalb der Fabrikationszwecke. Aber andererseits macht sie nur einen Sinn, wenn eine klare Begrenzung und Bewertung der einzelnen Arbeiten besteht. Hier arbeitet jede/r nur soviel, wie er/sie zur Erhaltung seiner/ihrer Lebensqualität und gesellschaftlich notwendiger Aufgaben braucht. Daneben hat er/sie noch seine Aufgaben in seinen/ihren Lebenszusammenhängen, ansonsten aber viel „Freizeit“, in der er/sie machen kann, was er/sie für richtig hält, wozu ihn/sie Bewußtsein und Neigung treiben. Pu Schröder Kontaktadresse: Pu Schröder, Karlstraße 7, W-2900 Oldenburg

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